„Die Abwesenheit als Ursprung oder die Geduld der allerletzten Frage“
Christoph Loos’ Holzschnitte als Ansätze einer neuen Metasprache
Die Arbeiten von Christoph Loos stehen ohne Zweifel in der Tradition des Holzschnitts, auch wenn diese alte Drucktechnik in seinen Werken in ungewohnter Weise nicht nur eingesetzt, sondern auch reflektiert wird. Dadurch kommt diesem anscheinend rein handwerklichen Verfahren ein völlig neuer Stellenwert innerhalb der Bedeutungsstruktur der Werke zu, was für ihr Verständnis entscheidend ist. Weit davon entfernt, lediglich Technik zur Bildproduktion und Bildreproduktion zu sein – wie sie seit dem 15. Jahrhundert eingesetzt wird –, verwandelt sich der Holzschnitt in diesen Arbeiten zu einer Metasprache, in der durch die Reflektion der Bedingungen der (Re-)Produktion des Bildes gleichzeitig die (Re-)Produktion der Bedingungen des Bildes sichtbar gemacht wird.
Form, die Form ist, erzeugt gleichzeitig Form, wobei in dieser symbiotischen Verknüpfung die Gegensätze ebenso ineinander übergehen wie sich Trennungen und Verbindungen partiell aufheben und neue Beziehungen zueinander entstehen, die sich jenseits der Sprache, ihren Figuren und Ordnungen formieren – gleichzeitig und gleichermaßen im Nebeneinander von Leere und Fülle, Anwesenheit und Abwesenheit, Zeichen und Nicht-Zeichen.
Das Vokabular dieser Arbeiten, das ganz der offensichtlichen Logik der Formgenese entspringt, beeinhaltet und umfasst ebenso die „Kehrseite“ dieses Prozesses, nämlich die Zerstörung der gewachsenen, organischen Form. Dies kann als Metapher für eine Bildgenese gelesen werden, die offen nach beiden Seiten ist. In dieser Dopplung gegensätzlicher Aspekte entzieht sich das Bild der Logik der Sprache und unterminiert deren Eindeutigkeit, indem es fortwährend ihre Bedeutungshorizonte transformiert und transzendiert und letztlich ins Unendliche verschiebt. Bild meint dabei weder Form noch Motiv, sondern die Gesamtheit des einzelnen Werkes, das sich aus unterschiedlichen Elementen zusammensetzt, die über einen Abstand miteinander kommunizieren. Das Bild wird dabei erst durch diesen Abstand hindurch erzeugt als imaginärer Zusammenhang, körperloser Körper, der in die Leere eingeschrieben ist, sowie Stille zwischen den Worten, in der sich das Unsagbare im Schweigen artikuliert.
„Des Todes Schatten ist weiß.“[1]
Oberflächlich betrachtet bestehen die Arbeiten von Christoph Loos aus dem Druckstock und den mit ihm hergestellten Drucken. Entscheidend dabei ist, daß der Künstler anstelle von Papier oder einem anderen fremden Material hauchdünne Holzblätter als Träger des Drucks einsetzt, die stets von dem als Druckstock verwendeten Baumstamm abgeschält werden. Indem Loos in seinen Werken stets Druckform und Druck gemeinsam präsentiert, hebt er deren Trennung partiell wieder auf, da hiermit nicht nur auf ihre „genetische Einheit“ verwiesen wird, sondern auch durch die offenbar werdende Entsprechung von Positiv- und Negativformen, von erhabenen und eingeschnittenen Graten und Formen eine neue Verbindung hergestellt wird. Die deutlich und unwiderrufbar voneinander geschiedenen Ebenen von Form und Gegenform, Körper und Nicht-Körper verschränken sich dabei über den Abstand hinweg zu einem komplexen Beziehungsgefüge von Entsprechungen und Spiegelungen, Entgegnungen und Ergänzungen, die auf ihren ursächlichen Zusammenhang und ihre ursprüngliche Einheit verweisen, ohne daß sie mit dieser je wieder identisch werden könnten. Vielmehr wird der Schnitt, der immer auch ein Schnitt durch das Kontinuum von Raum und Zeit ist und der sich in jeder Arbeit immer wieder anders und aufs Neue artikuliert, als Eingriff und irreversibler Akt sichtbar gemacht, als Trennung, die der Ursprung des Bildes ist. Das, was evident zu sein scheint, erweist sich dabei als idealer Ort der Subversion, denn nichts ist mehr nur das, als was es durch seine Funktion definiert ist, sondern immer auch mehr und anderes. Das, was zwischen dem, was war, und dem, was nicht mehr ist, in Erscheinung tritt, gleicht einem zerbrochenen Spiegel, in dem der ursprüngliche Zusammenhang nur noch fragmentiert und als Differenz in Erscheinung tritt. (…)
(Zitat: Prof. Dr. Karin Stempel, Rektorin Kunsthochschule Kassel, ZimZum)
- ^ Dieses Zitat stammt ebenso wie der Titel des Textes ausEdmond Jabès, Es Nimmt seinen Lauf, Frankfurt a. M., 1981, S. 13